Tag 129: Invercargill – Bluff

Cape Reinga, 20. Oktober 2019

Bluff, 26. Feber 2020

Ich habe es geschafft! Nach 129 Tagen ein Mal quer von Nord nach Süd durch Neuseeland bin ich heute am späten Nachmittag an meinem endgültigen Ziel angekommen – und werde das wahrscheinlich noch länger nicht wirklich realisieren! In den vergangenen Monaten durfte ich so viele Erfahrungen sammeln, neue Eindrücke aufsaugen, wunderbare Menschen kennenlernen, ein einzigartiges Land auf die wohl eindrücklichste Art und Weise erkundschaften und erleben, dass ich jeden Tag selbstsicherer und kompetenter wurde in allen Belangen, die so einen Thru-Hike betreffen. Der Trail führte mich Strände und Straßen entlang, durch verschlammte Wälder und dicht sowie licht besiedeltes Wohngebiet, über von mir so gefürchtetes Weidegebiet und steile, schroffe Bergflanken, sowie sanfte, samtig-grüne Hügel, etliche Male genossen Schuhe, Socken und Füße unfreiwillige Bäder, genauso oft spazierte ich auf Schotter oder durch nasses (Tussock)Gras, rutschte aus oder stolperte, schlich mehr als dass ich ging, erreichte mein Tagesziel aber immer erhobenen Hauptes (und oft brennenden Fußes 😊). Ich bin stolz darauf, diese 3005 Kilometer ohne Verletzung, ohne mich schwerwiegend zu verlaufen, mich selbst zu überschätzen oder irgendwann ohne genügend Verpflegung oder Wasser in der Pampa wiederzufinden, absolviert zu haben! In so vielen Bereichen, die ich selbst nicht beeinflussen konnte, war ich gesegnet – gutes Wetter die meiste Zeit, kein Ausharren in einer Hütte oder Auslassen eines Tracks wegen Überschwemmung oder anderer Wetterauswüchse. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Ich war heute bereits um fünf mit einem beunruhigenden Rumoren im Magen aufgewacht und nicht mehr richtig eingeschlafen. Kurz vor sieben brach ich noch bei Dunkelheit auf und nahm die letzten 34 Kilometer des Te Araroa Trails in Angriff. Es fühlte sich so eigenartig an. Einerseits war ich voller Vorfreude auf den heutigen Abschluss dieses gewaltigen Projektes, andererseits war ich doch erst am Cape gestartet, wie konnte ich denn so plötzlich schon am Ziel sein?!

Während ich losmarschierte telefonierte ich noch mit Stefan, dann war ich auf dem Estuary Walkway stadtauswärts vorerst wirklich alleine. Einige frühmorgendliche Radfahrer kamen mir entgegen und beglückwünschten mich zum baldigen Erfolg. Mein Magen rebellierte immer noch.

Nach ca 12 Kilometern verließ ich den Walkway, um weitere 16 Kilometer auf dem State Highway 1 zurückzulegen. Auch hier wurde ich von RadfahrerInnen, Motorrad- und Auto-, sowie LKW-FahrerInnen angefeuert, angehupt und beglückwünscht. Mit so viel Aufmerksamkeit hatte ich nicht gerechnet! Ich kann gar nicht wirklich beschreiben, wie ich mich fühlte oder was genau mir durch den Kopf ging. Ab und zu überkam mich ein Anflug von Gänsehaut, dann stiegen mir wieder Tränen in die Augen. Ein Sammelsurium an Emotionen gab sich in mir die Hand. Den Highway Abschnitt wollte ich schnell hinter mich bringen, deshalb gab ich ordentlich Gas und legte erst beim Überschreiten der Ortsgrenze nach Bluff eine Pause ein.

Von hier verlief der Trail eigentlich dem Foveaux Walkway der westlichen Küstenlinie entlang, aber ein Teil davon war wegen aggressiver Stiere gesperrt, deshalb musste ich einen Umweg Richtung Ortszentrum machen und von dort über den 250 Meter hohen Bluff Hill und auf der anderen Seite den Millenium Track hinunter an die Küste nehmen. Auf der Aussichtsplattform am Bluff Hill stand ich plötzlich vor Fréd und war total perplex. Wo kam die denn plötzlich her? Naja, eigentlich hätte es mich nicht wundern dürfen, dass sie die 16 Kilometer Highway nicht gegangen, sondern gefahren war, obwohl sie in den letzten Tagen immer wieder betont hatte, wie wichtig es ihr sei, die letzten Kilometer zu wandern. An meinem irritierten Gesichtsausdruck muss sie wohl gemerkt haben, dass ich nicht mit ihrer Anwesenheit gerechnet hatte, denn immerhin machte sie sich gleich alleine auf den Weg zum nur mehr ca fünf Kilometer entfernten Stirling Point. Ich blieb am Bluff Hill zurück, wissend, dass ich nun trotz meiner Ankündigung, alleine am Endpunkt des TA ankommen zu wollen, eben nicht alleine dort einlaufen würde. Das ärgerte mich. Und gleichzeitig ärgerte es mich, dass es mich ärgerte. Das war doch kindisch. Ich konnte schließlich nicht von ihr verlangen, sich irgendwo zu verstecken oder sofort abzuhauen, wenn sie am Stirling Point angekommen wäre. Es war mir aber gestern echt nicht leicht gefallen, meinen Wunsch des Alleinseins überhaupt zu äußern, und deshalb verstand ich einfach nicht, wie sie jetzt auf einmal einfach so da sein konnte und mir noch zurief, sie würde dann mit einer Flasche Prosecco auf mich warten?!? Genau das wollte ich doch nicht. Hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Immer noch wie vor den Kopf gestoßen machte ich am Aussichtspunkt erst einmal eine ausgedehnte Pause, um mich mit der neuen Ankunftssituation anzufreunden. Ich hatte gedacht, vom Bluff Hill bereits auf den Stirling Point hinunter zu sehen, dem war aber nicht so. Auch gut, somit blieb die Spannung noch etwas länger aufrecht erhalten! Ich ließ mir für diese letzten fünf Kilometer dann wirklich Zeit. Es war schön, die letzten Kilometer auf einem bush track und nicht Asphalt zurücklegen zu können.

Je näher das Ziel rückte, desto aufgeregter wurde ich. Dieses eine Mal kamen mir die letzten beiden Kilometer nicht lange genug vor! Und dann, ganz unspektakulär sah ich zum ersten Mal den Endpunkt des Te Araroa Trails, meiner 3005 Kilometer langen Reise.

Ich riss mich zusammen und marschierte mit einem Lächeln auf Fréd zu, die bereits emsig die Flasche entkorkte, und sich dabei gleichzeitig ordentlich über diesen doch so gefährlichen Highway Abschnitt beschwerte. Dann stießen wir an, Fréd plapperte weiter und ich hätte mich liebsten einfach nur weggebeamt. Natürlich waren andere Touristen auch dort, aber die störten mich nicht, ließen sie mich doch in Ruhe. Am meisten stieß mich ab, dass Fréd immer wieder betonte, sobald jemand in Hörweite war, wie unfassbar es doch war, dass wir wirklich das ganze Land durchquert hätten, 3000 Kilometer weit! Ich konnte die ganze Zeit nur denken, „Ja, ich bin wirklich 3000 Kilometer GEGANGEN, du nicht, also verkauf deine Leistung bitte nicht als solche.“ Für mich hatte dieses Ankommen einen ganz anderen Stellenwert als für sie, und leider gab sie mir weder Zeit noch Raum, MEIN Ankommen auszukosten. Ich will hier jetzt nicht kleinlich oder arrogant herüberkommen, aber genau so hatte ich mir den Abschluss des Trails nicht gewünscht. Entweder mit mir ans Herz gewachsenen Mit-HikerInnen, oder eben, wie sich in den letzten Wochen herauskristallisiert hatte, ganz alleine.

Jetzt, da ich diese Zeilen tippe, sind bereits zwei Tage seit meiner Ankunft in Bluff vergangen und ich habe immer noch nicht realisiert, dass der Trail zu Ende ist. Erstens, wahrscheinlich, weil sich das Rumoren im Magen zu einem Gott sei Dank nur leichten Magen-Darm-Virus entwickelt hat, der mich die letzten beiden Tage aber doch niedergestreckt hat (ich hab gestern mehr oder weniger den ganzen Tag geschlafen) und zweitens, weil ich dadurch keine Zeit hatte zum Realisieren und Ankommen oder mir einen Plan für die mir hier noch verbleibenden Wochen zurechtzulegen. Wenn es mein Wohlbefinden zulässt, werde ich morgen die Fähre nach Stewart Island nehmen und dort auf der Lauer liegend nach Kiwis Ausschau halten und währenddessen einen Reiseplan erstellen!

Ein letztes Mal noch ein Blick auf die Zahlen:
Kilometer bis Bluff: 0
Te Araroa Gesamtlänge: 3005 Kilometer
Tage in Neuseeland: 133
Tage am Trail: 129
Reine Wandertage: 107
Sich daraus ergebender Tages-Kilometer-Schnitt: 28
Freiwillige Rasttage: 11 (2 auf der Nordinsel, 5 Tage Weihnachtsferien zwischen Nord-und Südinsel, 4 auf der Südinsel)
Unfreiwillige Rasttage: 11 (Krankenstand in Nelson)
Längste Etappe ohne Zivilisation: 8 Tage (von Queenstown bis Riverton)

Auf die Frage, welcher Abschnitt mir am besten gefallen hat, ist es schwierig, eine Antwort zu finden. Von den Tararuas war ich wegen des mystischen Zauberwaldes schwer beeindruckt, Nelson Lakes National Park zog mich mit seinen Seen und ausgesetzten Gipfeln in seinen Bann. Nord- und Südinsel sind für mich wie zwei vollkommen unterschiedliche Länder, wobei keines schöner ist, als das andere. Viele Neuseeländer prophezeiten mir, dass mir die Südinsel noch viel besser gefallen würde, als die Nordinsel – dem kann ich nicht zustimmen. Mich faszinierte der Norden mit seinen Gatschwäldern, Stränden, Hügellandschaften und kleinen Ortschaften mindestens genauso wie die gebirgige und von Flussquerungen geprägte Südinsel. Ich erlebte das Erwandern beider Inseln auch sehr unterschiedlich. Die Nordinsel im euphorischen Glückstaumel gemeinsam mit Nicole, auf den letzten 100 Kilometern mit Stefan, die Südinsel zuerst mit Stefan, bis mein Krankwerden und Stefans Abreise eine Unterbrechung in den gewohnten Rhythmus brachten, und mir den Wiedereinstieg etwas erschwerten. Nach kurzer Zeit pendelte sich aber auch hier die Routine wieder ein und ich genoss das alleine Wandern zunehmend. Es kam alles so, wie es kommen sollte, und ich würde nichts anders machen (Außer vielleicht den letzten Tag 😊)!

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